The Lobster

Poster
Originaltitel:
The Lobster
Jahr:
2015
Eingetragen:
14.10.2015
IMDB-Wertung:
7,2/10
TMDB-Wertung:
7/10


Hannes schreibt:

Unsere Gesellschaft ist schon zum Lachen. Manchmal bleibt einem das Lachen jedoch auch im Halse stecken, wenn einem zu konkret der Spiegel vorgehalten wird. Genau zwischen diesen beiden Polen, mit Ausflügen in tragisch berührende Momente, bewegt sich The Lobster, das eines der bizarrsten gesellschaftlichen Themen überhaupt aufgreift: die menschliche Paarbildung.

In der skizzierten fiktiven Welt ist das Zusammenleben in solcherlei Pärchen nicht mehr nur implizit erwartet (wie bei uns, wovon jeder längerfristige Single sicherlich zur Genüge berichten kann), sondern ist sogar zum Gesetz geworden. Wer seinen Partner verliert, bekommt Umerziehungs- und Nachhilfekurse in einem Hotel voller anderer temporärer Singles, bis sie sich entweder wieder zusammentun oder per drastischer Zwangsmaßnahme ganz aus der menschlichen Gesellschaft ausscheiden.

TheLobster01.jpg
Uniformierte Singles unkommunikativ aufgereiht

Nicht so kompliziert, sollte man meinen; man schnappt sich einfach pro forma irgendjemanden, lebt zusammen und geht ansonsten getrennte Wege. Doch ganz so einfach ist es nicht. Im besten Stil unserer Welt, auf die Spitze getrieben durch Partnervermittlungsagenturen, kann man trotz der strengen Partnerschaftspflicht nicht einfach zusammen sein. Nein, man muss es auch noch gegenüber dem Rest der Welt rechtfertigen – indem man mindestens eine signifikante Gemeinsamkeit identifiziert. Was sich aber natürlich immer auf platte Äußerlichkeiten beschränkt („Beide haben schöne Stimmen“ oder „Beide hinken“).

Einerseits reflektiert The Lobster damit meisterlich pointiert gesellschaftlichen Druck und Erwartungshaltung an jeden Einzelnen. Niemals wird in Zweifel gezogen, dass all diese Regeln wohl mal aus noblen Motiven aufgestellt wurden. Nur verhält es sich eben wie mit so vielen Dingen in unserer Welt: Positive Intentionen gehen immer dann schief, wenn eine Gruppe von Menschen den (angenommenen) Grund ihres eigenen Glücks auf Teufel komm raus auf andere projizieren möchte, also unterstellt, dass sich mit gleicher Lebensweise deterministisch ebenfalls ein Glückszustand einstellen müssen, zu dem man die Unwissenden eben hinführen müsse. Zahllose Beispiele unserer vorgeblich so liberalen Gesellschaft liegen auf der Hand.

Doch damit endet der Film noch lange nicht. Wie der Protagonist (Colin Farrell) erfahren muss, existiert sehr wohl eine im Wald lebende Gruppe Einzelgänger, die illegal geflohen sind. Neben dem dauernden Versteckspiel vor den Jägern des Establishments sowie der logistischer Probleme (Nahrung, ärztliche Versorgung) hat es sich die dortige Anführerin (Léa Seydoux) auf die Fahnen geschrieben, die Verlogenheit der herrschenden Gesellschaft dadurch zu entlarven, scheinbar stabile Paare ihre wahren Prioritäten in Extremsituationen vor Augen zu führen. Wobei diese Einzelgängersekte mit ihren nicht weniger drakonischen Strafen und starren Regeln als genau so schlimm herausstellt.

TheLobster02.jpg
Bei den Einzelgängern darf nur jeder für sich Musik hören (und gemeinsames Tanzen ist sowieso verpöhnt)

Die strukturell beinahe fatal an den Super-Flop Fahrenheit 451 erinnernde, dann aber auch 1984 aufgreifende Inszenierung stellt also in zwei Phasen die Extreme des gesellschaftlichen Drucks, also des externen Einflussfaktors dar. Durch den gesamten Film zieht sich daneben die Frage nach den immanenten menschlichen Beweggründen für ihr Handeln. Wie weit sind Menschen bereit, sich für eine Partnerschaft anzupassen (oder sogar zu verbiegen)? Insbesondere in der Phase einer sich gerade erst anbahnenden Beziehung ist trotz aller äußerlich propagierten Mantren zur Authentizität genau diese das wohl seltenst eingesetzte Merkmal.

So gelingt es dem Film, nicht wie leider so oft in gesellschaftskritisch gemeinten Werken auf der Ebene der Feststellung, jene Gesellschaft sei ach so böse, steckenzubleiben. Gesellschaft ist kein autark agierender Aktor, sondern ein abstraktes Konstrukt, das letztlich durch die Menschen bestimmt wird. Eine scheinbar triviale Feststellung, die allzu oft vergessen oder zumindest implizit ignoriert wird, wenn angeblich unverrückbare gesellschaftliche Umstände als Wurzel allen Übels dargestellt werden.

Einer der schönsten, da vielsagensten Momente in diesem Sinne ist der Eifersuchtsanfall des Protagonisten, in dem er einen vermeintlichen Konkurrenten handgreiflich nach dessen vermeintlicher Kurzsichtigkeit prüft. Er hat unwillentlich die gesellschaftliche Norm des Gemeinsamkeitszwangs zutiefst verinnerlicht – was den Zirkelschluss zwischen den inneren Befindlichkeiten Einiger, die ihre Werte zu gesellschaftlichen Standards erklären und in der Folge Dritten extern oktroyieren, zurück zum persönlichen Denken, darstellt.

Partnerschaft könnte so einfach sein. Wenn Menschen zusammen sein möchten, könnten und solltne sie es sein. Ohne sich vor anderen rechtfertigen zu müssen und ohne dabei sich selbst zu verleugnen. Doch genausowenig dürfte man in Rechtfertigungszwang geraten, wenn man das eben alles nicht möchte. The Lobster packt den auf sympatische Weise wirklich liberalen Spiegel aus und weiß damit sowohl durch gekonnte und unerwartete Pointen bestens zu unterhalten, als auch dank intelligenter Beschäftigung mit relevanter Materie den Kopf zu beschäftigen.

Kommentare



:
:
Botverifikation:
: