Mord nach Maß

Poster
Originaltitel:
Endless Night
Jahr:
1972
Eingetragen:
25.01.2011
Bearbeitet:
17.04.2013
IMDB-Wertung:
6/10
TMDB-Wertung:
6,1/10


Hannes schreibt:

Michael Rogers (Hywel Bennett) schlägt sich mehr schlecht als recht mit Gelegenheitsjobs durch. Er träumt jedoch von mehr. Die Chance scheint gekommen, als er zufällig Ellie (Hayley Mills) kennenlernt. Sie ist in ihrer Rolle als Millionerbin einigen familiären Zwängen unterworfen und ein Niemand wie Michael kommt gerade beim Familienanwalt (George Sanders) natürlich alles andere als gut an. Er und die Familie (u.A. Peter Bowles und Lois Maxwell) gehen davon aus, Michael sei nur auf Ellies Geld aus.

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Michael liebt es, die „elfenhafte“ Ellie zu beobachten: Ob beim Kennenlernen in grüner Natur…

Die beiden halten jedoch zusammen, heiraten und lassen sich auf dem Grundstück „Gypsy's Acre“, auf dem sie sich das erste Mal getroffen haben, von einem befreundeten Architekten (Per Oscarsson) ihr Traumhaus bauen. Erster Unfrieden stellt sich ein, als sich Ellies ehemalige Gesellschafterin und beste Freundin Greta (Britt Ekland) bei ihnen einnistet. Michael kann mit ihr überhaupt nichts anfangen, Ellie will sie dagegen nicht missen. Die Familie spinnt weitere Intrigen. Doch dann kommt alles ganz anders: Ellie kommt bei einem Reitunfall um. Oder war es vielleicht kein Unfall?

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…oder nach der Hochzeit beim Musizieren im Traumhaus.

Man muss sich schon mehrmals versichern, dass die Vorlage tatsächlich von Agatha Christie stammt. Mord nach Maß muss wohl einer ihrer untypischsten Romane sein. Es geht los mit Bernard Herrmanns hervorragender Musik, einer bewusst unklaren Erzählung Michaels aus dem Off und einer verstörenden Einstellung von Ellie ohne Gesicht.

Dann folgen 20 Minuten, in denen man erstmal nur Michael folgt, bis Ellie das erste Mal überhaupt „richtig“ auftaucht. Weitere 20 Minuten bis zur Hochzeit und Gretas Auftritt. Lange wird dann einfach das Eheleben der beiden gezeigt – mit all den Höhen und Tiefen. Erst 20 Minuten vor Ende kommt es dann überhaupt zum Todesfall – und es folgt noch nicht mal der Ansatz einer klassischen kriminalistischen Ermittlung. Stattdessen folgt Michaels langsamer psychischer Zusammenbruch und die Auflösung, wer oder was nun für Ellies Tod verantwortlich war, kommt letztlich von selbst.

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Da hilft alles säuerliche Gucken nichts: Greta wird er nicht mehr los!

Stilistisch ähnnelt Mord nach Maß insofern eher dem Psychothriller-Genre, als einem Krimi. Wenn die Gondeln Trauer tragen ist ein naheliegenderer Vergleich, als etwa Mord im Orientexpress. Unterschwellig ist immer klar, dass etwas nicht stimmt – aber bis einem dann wirklich gewahr wird, was das ist, ist der Film beinahe um. Wobei diese sehr moderne Psychostudie geschickt mit Motiven wie der alten Zigeunerin, die prophetisch vor einem unheilbringenden Fluch warnt, und direkt dem klassischen Kriminalgenre entstiegen zu sein scheint, vermischt werden, die dann eben doch wieder den Hintergrund, für den die Autorin eigentlich berühmt ist, aufblitzen lassen.

Was beim ersten Anschauen nicht, aber sehr wohl im Rückblick klar wird, ist, dass es sich eigentlich um eine klassische Tragödie handelt: Düster und deterministisch gehen alle Charaktere ihrem Untergang entgegen. Zwar gibt es dafür durchaus Hinweise, aber die Inszenierung lässt diese zugunsten der hoffnungsfroheren Aspekte des eventuell doch noch möglichen Glücks der sympatischen Protagonisten zuerst beiläufig erscheinen. Visuell spiegelt sich diese schleichende Wandlung der Geschichte vor Allem in der Beleuchtung wider: Michael und Ellies scheinbar gute Zeiten finden größtenteils in sommerlicher Natur oder zumindest in lichtdurchfluteten Räumlichkeiten statt. Nach Ellies Tod sieht man die Charaktere dagegen passenderweise fast nur noch nachts, zumindest in der Dämmerung oder in gedrängten Zimmern. Das intensive Finale findet dann unter den flackernden Reflektionen eines Pools statt, was mit dem endgültigen Zusammenbruch Michaels ohnehin schon angeschlagenen Geisteszustands einher geht.

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Die blanke Verzweiflung

Apropos Finale: Agatha Christie selbst hatte anscheinend Einwände gegen eben diese Szene. Sie äußerte sich in dem Sinne, dass wohl zu viel von Britt Eklands nackter Haut zu sehen sei. Das kann dann man wohl ehrlich gesagt doch als Generationenfrage abtun, denn das hatte sie selbst in ihrem Roman schon so geschrieben. Gut, nur in zwei Sätzen, aber was dem Filmzuschauer hier gezeigt wird, entspricht dem leicht ausgeschmückten Kopfkino ihrer Worte („sie roch und schmeckte nach Sex“). Apropos Britt Ekland: Große Schauspielkunst darf man auch hier nicht von ihr erwarten, aber immerhin versteht Regisseur Sidney Gilliat es, sie geschickt in Szene zu setzen. Eingeführt wird sie in ungewohnt keuscher Optik: Zugeknöpft und mit streng gebundenem Haar muss man schon fast zweimal hingucken, um sie überhaupt wiederzuerkennen – während sie dann gegen Ende wieder mit wallendem Haar, großen Augen, vollen Lippen und in ganz anderen Blickwinkeln aufgenommen, um Christies Worte zu benutzen, zum „personifizierten Sex“ wird.

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Stummer Zeuge des bitteren Endes

Hier reflektiert sich also wieder Michaels Wahrnehmung. Wie subjektiv die gesamte Geschichte überhaupt ist, ist aber auch eine der Erkenntnisse, die einem (obwohl Michael ja sogar als Ich-Erzähler fungiert) erst im Rückblick in ihrer vollen Tragweite bewusst werden. Was eben daran liegt, dass sowohl das Drehbuch, als auch Hywel Bennetts Darstellung ihn absolut sympatisch machen. Lange will man seine seelischen Abgründe einfach nicht wahr haben – und da geht es den Zuschauern eben genauso wie Ellie und auch den meisten anderen Charakteren. Und genau das zeichnet den Film aus: Die Zuschauer werden zu emotionalen Komplizen, Beteiligten; man spürt das, was man jeweils gerade soll, und denkt deshalb auch immer, was man gerade soll. Das schaffen nur wenige „Krimis“!

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